«Erinnern durch Anklagen, anklagen durch Rekonstruieren»: «And now Hanau» von Tuğsal Moğul

Seit der Uraufführung im Mai 2023 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen (in Koproduktion mit dem Theater Münster und dem Theater Oberhausen) läuft «And now Hanau» von Tuğsal Moğul nicht nur an den produzierenden Theatern, sondern auch in diversen Rathäusern und an Orten, wo Judikative, Legislative und Exekutive Entscheidungen treffen. Zuletzt gastierte die Produktion im Februar 2024, kurz vor dem vierten Jahrestag der Anschläge, am Maxim Gorki Theater, Berlin.

Szenenfoto (c) Bettina Stöß
© Bettina Stöß

Am 19.02.2020 erschoss in Hanau ein polizeibekannter Rechtsextremist neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte – einer der brutalsten Morde der jüngeren deutschen Vergangenheit und bis heute kaum aufgearbeitet. 

In einem großen Essay für Die Welt schreibt Deniz Yücel: «Was Dokumentationstheater leisten kann, zeigt Tuğsal Moğul mit And now Hanau … Bei Moğul kommt Erinnern nicht in den üblichen Floskeln vom Warnen und Mahnen daher … Ein Stück, das erinnert, indem es anklagt, und anklagt, indem es rekonstruiert. Dargestellt aus der Perspektive der Opfer, mit detailliertem Fokus auf das Versagen der zuständigen Behörden – vor, während und nach der Tatnacht. So schockierend wie sehenswert.» 

«And now Hanau wird im Nachhinein zu einer Art alternativem Prozess und gehört, im produktivsten Sinne, zu den Abenden, die schwer auszuhalten sind, weil die handfesten Versäumnisse, die eigentümlichen Ermittlungspannen und die erschütternden Gedankenlosigkeiten der jeweils zuständigen Stellen, die hier offenbar werden, sprachlos machen … Durch die Konkretion und Genauigkeit seiner Recherche stellt sich Moğul komplett in den Dienst des Materials und leistet wichtige Aufklärungsarbeit.» (Theater heute)

«In dieser Ballung und klugen wie schockierend klaren Zusammenstellung hat sicher bisher niemand das krasse Behördenversagen vor, während und nach den Morden von Hanau vor Augen geführt bekommen … und so viel dazugelernt über das Problem des strukturellen Rassismus in unserer Gesellschafft.» (Nachtkritik)

«Eindrucksvolles Dokumentartheater, das vollumfänglich die Perspektive der Opfer einnimmt … Moğuls dichter Text bündelt die Folgen des Anschlags, der das Leben vieler Menschen beendet oder verändert hat.» (Die deutsche Bühne)

«And now Hanau zeigt, dass es nicht nur um den Schutz von Minderheiten geht. Sondern um das Selbstverständnis der gesamten Gesellschaft.» (Theater der Zeit)

Tuğsal Moğul

Tuğsal Moğul

Tuğsal Moğul wurde 1969 in Neubeckum geboren. Der diplomierte Schauspieler, Theatermacher, Anästhesist und Notarzt studierte neun Jahre parallel Medizin an den Universitäten Hannover, Wien und Lübeck sowie Schauspiel an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit in einem Lehrkrankenhaus in Münster spielte Moğul in diversen Filmen und Theaterstücken mit und arbeitet mittlerweile hauptsächlich als Autor und Regisseur.

Sein Debütstück Halbstarke Halbgötter, in dem Ärzte zu Wort kommen, wurde 2011 zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. In Somnia hingegen stehen Patienten auf einer Intensivstation im Mittelpunkt des Geschehens. Beide Stücke wurden zusammen mit seinem Ensemble Theater Operation erarbeitet, aus beiden entstand außerdem das Buch Intensiv erleben - Menschen in klinischen Grenzsituationen, das Moğul mit dem Medizinethiker Alfred Simon herausgebracht hat, erschienen im Frühjahr 2013 im LIT Verlag.

Sein Stück Die Deutsche Ayşe war 2013 zum Festival "Made in Germany" in Stuttgart eingeladen sowie 2014 zum NRW-Theatertreffen, wo es sowohl den Publikumspreis als auch den Preis der Jugendjury gewann.